Betrachten wir den Körper aus dem letzten Kapitel, wie er frei an einem
Himmelskörper vorbei fällt. Er bewegt sich auf einer Geodäten.
Teilen wir nun diesen Körper in kleinere Stücke, so wird jedes der
Stücke frei fallen - allerdings jedes auf einer eigenen Geodäten. Die
Stücke, die dem Himmelskörper am nächsten sind, werden auf diesen
stärker zufallen als die anderen. Und sie werden auch den anderen
vorauseilen. Die ursprüngliche Gestalt des Körpers wird also verformt
werden.
Wir kennen diese Erscheinung als Gezeiteneffekt, in Kapitel 6d haben wir ihn an fallenden Kugeln diskutiert (vgl. Kapitel 6d:
Gezeiten). Ausgedehnte Körper bewegen sich im Allgemeinen nicht auf
Geodäten. Dies liegt vor allem an der Wirkung dieses Gezeiteneffektes.
Die Gezeiten sind die direkte Folge einer gekrümmten Raumzeit. Sie sind unabhängig vom Bezugssystem, in dem wir sie beobachten (sie verschwinden nicht beim Bezugssystemwechsel) und unabhängig vom Koordinatensystem, mit dem wir sie beschreiben. Dies gilt nun auch für die Auswirkung, die die gekrümmte Raumzeit auf die Geodäten hat: die geodätische Abweichung. Der Gezeiteneffekt - tiefergehend: die gekrümmte Raumzeit - bewirken, dass die Geodäten von frei fallenden Körpern aufeinander zulaufen oder voneinander abweichen.
In Kapitel 6d (vgl. Kapitel 6d: Gezeiten) haben wir anhand einer fallenden Kabine die Gezeiten diskutiert.
Unter dem Blickwinkel der "geodätischen Abweichung" wollen wir nun die Flächen identifizieren und ihnen - gemäß der Formel des vorangegangenen Kapitels (vgl. Kapitel 7b: Geodätische Abweichung) - Krümmungswerte zumindest qualitativ zuweisen.
In dem im Bild angedeuteten Koordinatensystem können wir zunächst drei
Raum-Zeit-Flächen der Raumzeit erkennen. Die Flächen sind jeweils
gegeben durch eine Raum- und die Zeit-Koordinate. So bewegen sich zum
Beispiel die Kugeln (5) und (6) auf der Fläche, die durch die
Koordinate der Zeit (t) und der z-Koordinate gegeben ist. Wir wollen
sie abkürzend (t,z)-Fläche nennen. Diese beiden Kugeln driften
auseinander. Auf ihr weichen die Geodäten also voneinander ab. Diese
Fläche ist negativ gekrümmt.
Die beiden anderen Flächen, also die Flächen (t,x) und (t,y), sind entsprechend positiv gekrümmt.
Tatsächlich kommen noch weitere drei Krümmungen hinzu.
Auch der Raum selbst ist ja deformiert, es sind also Raum-Raum-Flächen
der Raumzeit. Die in Fallrichtung senkrechte Fläche (x,y) ist positiv
gekrümmt, die Flächen (x,z) und (y,z) sind negativ gekrümmt.
Die Raumzeit in Erdnähe ist sechsfach gekrümmt. Wir können diesem Raumzeit-Gebiet also sechs Krümmungswerte zuordnen.