Lesungstext Auslegung zu Mt 14,22 - 33
(Wortgottesdienst im August 2017)

Der See, von dem im Evangelium gehört haben, ist der See Genezareth. Die Jünger kennen diesen See gut, denn sie leben ja an diesem See. Und als Fischer leben einige auch von diesem See. Dann wissen sie natürlich, dass ihr See ganz schön tückisch sein kann. Plötzliche Fallwinde von den nahen Berghöhen peitschen das Wasser auf und ein Fischerboot wird dann tatsächlich „hin und her geworfen“ – wie es im Evangelium heißt.

Aber es geht natürlich nicht darum, wie gefährlich dieser See sein kann, sondern es geht um die Gemeinde, für die der Evangelist Matthäus schreibt, die Gemeinde, die diesen Text hört. Wie die Jünger in dem Fischerboot darf die Gemeinde das Vertrauen haben, dass ihr Herr Jesus Christus bei ihr ist – auch wenn die Wellen noch so hochschlagen.
Ja mehr noch, wie Petrus kann die Gemeinde auch das Neue wagen, kann das Boot verlassen – denn der Herr wird ihr auch dann Halt geben und sie nicht alleine lassen.

Wir haben im Evangelium gehört, dass Petrus zunächst voller Mut aus dem Boot steigt und dann Angst bekommt. Er droht, im Wasser zu versinken. Und dann heißt es im Evangelium: „Er [Petrus] schrie: ‚Herr, rette mich!‘“
Auch das kennt die Gemeinde und sie erkennt sich darin. Denn sie weiß, wie nah Mut und Angst beieinander liegen, Hoffnung und Not.

„Herr, rette mich!“
Das ist das Gebet des Verzweifelten, der nur noch den Sturm über sich sieht und die Wellen um sich herum, die ihn zu verschlingen drohen. Der in der Nacht vielleicht auch schon kein Licht mehr sieht.

„Hilf mir, o Gott! Schon reicht mir das Wasser bis an die Kehle.“
So steht es in den Psalmen, dem Gebetbuch der Gemeinde (Ps 92). Und weiter steht darin:
„Zieh mich heraus aus dem Verderben, aus dem tiefen Wasser! Lass nicht zu, dass die Flut mich überschwemmt.“

Natürlich streckt Jesus die Hand aus, „sofort“, wie es im Evangelium heißt – und ergreift diesen Petrus.
„Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt?“
Auch in diesem Wort Jesu aus dem Evangelium erkennt sich die Gemeinde. Denn sie weiß, dass ihr kleiner Glaube sogar Berge versetzen könnte, wenn er denn nur so groß wäre wie ein Senfkorn – wie Jesus es an anderer Stelle sagt. (Mt 17,20)

Und damit geht es auch um uns.
Hochschlagende Wellen, die Kirche, ein Boot, das hin und her geworfen wird. Manche sehen auch schon kein Licht mehr in der Nacht. Und für viele mag heute Jesus sogar nicht mehr als ein Gespenst sein (vor dem die Jünger erschrocken sind).

Wie geht es uns dabei?
Klammern wir uns an das Boot, an die Sicherheit von Gewohnheiten? An das „Das war doch schon immer so“?
Oder steigen wir wie Petrus aus dem Boot und wagen wir das Neue - auf sein Wort hin?

Ja, das tun wir.
Wenn wir Fronleichnam nur noch gemeinsam feiern, im Wechsel mit Odenheim. Oder regelmäßige Wortgottesdienste wie heute, übernächsten Sonntag in Odenheim, die Woche darauf in Tiefenbach, dann in Eichelberg.
Oder wenn wir ab Herbst eine neue Weise der Erstkommunionvorbereitung durchführen.
Das alles geht eben nur im Vertrauen, dass Er bei uns ist, dass er uns die Hand reicht, wenn wir das Neue wagen und dabei auch sichere Gewohnheiten hinter uns lassen. Das ist wie ein Gang über unsicherem Wasser – und die Wellen schlagen manchmal wirklich hoch.

Und ich selbst? Was ist mein Boot?
Das kann die eigene Familie sein, der Freundeskreis. Oder auch der gewohnte Tagesablauf, die täglichen Gewohnheiten, die tägliche Arbeit. Alles, was mir Sicherheit gibt, wenn die Wellen höherschlagen.
Es ist gut, dass es dieses Boot gibt. Und es ist auch gut, dass ich nicht alleine in diesem Boot bin.

Steige ich wie Petrus aber auch aus diesem Boot?
Auch für mich gilt ja die Verheißung, dass ich auf Jesus vertrauen darf, wo ich mich auf ihn einlasse. „Komm!“ Dieser Ruf Jesu gilt auch mir. „Komm. Hab Vertrauen.“

Ja, welch ein Wunder wird im Evangelium berichtet: Petrus, ein Mensch, steigt aus dem Fischerboot und geht auf dem Wasser. Auf das bloße Wort Jesu hin.

Lassen wir uns den Blick nicht verstellen von diesem großen Wunder. Wunder sind Gleichnisse des Herzens. Auch dieses große Wunder beginnt im Kleinen. Dort, wo ich eben das Gewohnte verlasse, wo ich meinen Vorteil, mein „gutes Recht“ einen Moment zur Seite lege.

Das kann schon sein:

Wage ich mich auf dieses Wasser?

Warten wir nicht auf das ganz große Wunder inmitten hochschlagender Wellen; das große Wunder, das mein ganzes Vertrauen einfordert. Auch das mag kommen.
Doch gerade auch das kleine tägliche Wunder ändert ja mein Leben – Schritt für Schritt. Auch im Alltag bin ich gefragt, auf das „Komm“ Jesu zu antworten, den ersten Schritt auf das Wasser zu tun.

„Komm!“ So ruft mich der Herr. „Hab Vertrauen, ich bin es; fürchte dich nicht!“
„Ja, Herr, wenn du es bist, so befiehl, dass ich auf dem Wasser zu dir komme.“

© Martin Kornelius