Lesungstext Auslegung zu Mk 10,46b–52
(Wortgottesdienst mit Bußfeier im Advent 2014)

Bartimäus. So heißt der Blinde, der im heutigen Evangelium des Markus geheilt wird.

Am Anfang der Erzählung sehen wir Bartimäus an der Straße sitzen, an der Straße von Jericho nach Jerusalem. Bettelnd am Ortsausgang von Jericho. Als Blinder ist er aufs Betteln angewiesen. Als er hört, dass Jesus vorbeikommt, fängt er an, Jesus zu rufen. Doch die Menschen um ihn herum reagieren unwillig. Sie fühlen sich gestört, schimpfen mit ihm, dass er mit dem Rufen aufhören soll. Bartimäus aber lässt sich nicht beirren und schreit nun umso lauter.
Dabei bemerkt er erst gar nicht, dass Jesus schon auf ihn aufmerksam geworden ist. Die Leute sagen es ihm. Er soll zu Jesus kommen.
Jetzt springt Bartimäus auf und lässt seinen Mantel fallen. Er wirft ihn weg, wie im Evangelium heißt. Ob der Mantel ihn hindert? Einengt?
Auf jeden Fall ist jetzt sein Augenblick gekommen. Er läuft zu Jesus.
Dann steht er vor Jesus. Und Jesus fragt: Was soll ich dir tun? Ist das denn nicht klar? Ist Bartimäus nicht offensichtlich blind?
Ja, was will Bartimäus von Jesus?

Was will ich von Jesus, der auch ich zu ihm komme? Auch wir begegnen ja Jesus. Wir sind ihm eben begegnet beim Hören des Evangeliums und werden ihm nachher begegnen in der Kommunion, in der Gestalt des Brotes.
Wo bin ich blind in meinem Leben? Wer geheilt werden möchte, muss ja zunächst erkennen, wo er Heilung nötig hat.
Wer geheilt werden möchte, muss Antwort geben können, ja, muss Antwort geben, auf die Frage Jesu: Was soll ich dir tun?
Bartimäus sagt: Rabbuni, ich möchte wieder sehen können.

Bin ich denn bereit, darauf zu blicken, wo ich Heilung nötig habe? Auch auf die blinden und stumpfen Stellen in meiner Seele? Das ist vielleicht dorthin, wohin ich nicht so gerne hinschaue.
Bin ich bereit für die Frage Jesu: Was soll ich dir tun?
Also bereit, um Heilung zu bitten? Also eingestehen, dass ich Heilung nötig habe?
Bin ich bereit, mich heilen zu lassen?

Dann wird es nochmals spannend bei Markus. Die Heilungsgeschichte endet mit dem einfachen Satz: Und er (also Bartimäus) folgte Jesus auf seinem Weg.
Das ist ein entscheidender Satz. Im griechischen Original steht es viel genauer, was Markus damit meint. Da steht: Und er folgte Jesus auf seinem Weg nach. Nachfolgen. Es geht hier um Nachfolge. Jesus ist – als er durch Jericho kommt - auf dem Weg nach Jerusalem. Auf dem Weg zu seinem Leiden und zum Kreuz. Und Bartimäus folgt Jesus nach.
Um Jesus nachfolgen zu können, darf man nicht blind sein. Bartimäus entdeckt seine Berufung, als er sehend wird.

Das ist für Markus sehr wichtig. Deshalb erzählt er diese Geschichte am Ende eines längeren Abschnittes, in dem es um die Blindheit der Jünger geht. Die Jünger sind blind gegenüber Jesus. Sie verstehen nicht, was Jesus meint, wenn er von Nachfolge redet.

Dreimal setzt Jesus in diesem längeren Abschnitt an, den Jüngern klar zu machen, was Nachfolge bedeutet. Dreimal reagieren die Jünger darauf wie blind. Beim ersten Mal erklärt ihnen Jesus, dass der Menschensohn ausgeliefert und getötet werden müsste. Und die Jünger? Sie streiten sich nur darum, wer der Größte unter ihnen sei. Und kurz darauf bitten ihn zwei seiner Jünger sogar um die besten Plätze in seinem Reich; rechts und links neben Jesus wollen sie sitzen dürfen. Soll das der Sinn von Nachfolge sein? Die besten Plätze im Himmelreich zu erhaschen? Nein, die Jünger verstehen Jesus nicht.
Die Jünger haben Ansprüche, sie stellen Ansprüche an Jesus! Aber Nachfolge bedeutet, sich selbst zu beanspruchen, und nicht Ansprüche an andere zu stellen, erst nicht an Gott.

So hören wir denn heute im Evangelium von einer doppelten Heilung: die Heilung des blinden Bartimäus und die Heilung der blinden Jünger.
Markus meint natürlich auch uns, die wir das Evangelium lesen oder hören. Auch wir, die Gemeinde Jesu, dürfen nicht blind sein, dürfen uns nicht einrichten in einem bequemen Glauben. Einem Glauben, der eigenen Ansprüchen folgen will.

Auch für uns gilt: Um Jesus nachfolgen zu können, dürfen wir nicht blind sein, weder blind gegenüber unseren Mitmenschen, noch blind gegen uns selbst. Was ist der Mantel, der mich hindert aufzuspringen und zu Jesus zu gehen?
Wo bin ich der Gewalt der Schuld unterworfen, wie wir es heute vom Propheten Jesaja in der Lesung gehört haben?
Höre ich das „Was soll ich dir tun?“ von Jesus?

Als Bartimäus geheilt wurde, sehend wurde, folgte er Jesus nach auf seinem Weg nach Jerusalem, in die Nacht seines Leidens.
Auch wir sind in der Nachfolge, in der Nachfolge, die auch in unsere Nacht hineinführt – und, so dürfen wir gewiss sein, durch diese Nacht hindurch. So wie Jesus in unsere Nacht des Leidens und des Todes hineinging und durch diese Nacht hindurch gegangen ist, in das Leben.

© Martin Kornelius