Lesungstext Auslegung zu Lk 19,1-10
(Wortgottesdienst im November 2013)

Meinen Namen habt ihr ja schon gehört. Zachäus. Vorhin in der Erzählung, im Evangelium, wie ihr es nennt. „Frohe Botschaft“ heißt das übersetzt. Ja, das ist ein guter Name – frohe Botschaft.
Lukas, der Evangelist, hat euch diese Erzählung aufgeschrieben, die Erzählung von einem Zöllner namens Zachäus, also meine Erzählung. Und er hat auch – ganz richtig – meinen Beruf genannt, „oberster Zollpächter“.
Als oberster Zollpächter von Jericho bestimme ich, wer mit seinen Waren nach Jericho rein- und rausgeht. Und das lasse ich mir natürlich auch gut bezahlen. Dass ich den Zoll eintreiben darf, habe ich für gutes Geld von den Römern gepachtet, meistbietend. Also zahle ich dann einen Teil meiner „Einkünfte“ nach „oben“. Den Römern. Aber dass genügend für mich bleibt, dafür sorge ich dann schon. Wie nennt es Lukas? „Und er war sehr reich“. Kann man durchaus so sagen.

Das ist ja eigentlich ganz lustig mit meinem Namen: Zachäus. Denn das kommt von Zaddiq – und das heißt: der Gerechte.
Nun ja, für die Leute hier in Jericho bin ich kein „Gerechter.“ Nein, für die bin ich ein Dieb, ein Dieb an meinem eigenen Volk. Und ein Verräter. Jemand, der sich mit dem Feind gemein macht. Jemand, der gemeinsame Sache macht mit den Besatzern. Mit den Unterdrückern.
Ja, ich sehe in den Augen meiner Landsleute die Wut, den Hass - und die Verachtung mir gegenüber.
Aber auch Neid. Neid auf meinen Reichtum, Neid auf meine glückliche Hand und auf meine Macht, die ich dadurch habe.

Lukas, der Evangelist hat sich viel Mühe gegeben, diese Geschichte, meine Geschichte, lebendig werden zu lassen. Natürlich hat mich Jesus interessiert!
Sein Ruf eilte ihm ja voraus - und es war klar, dass es in Jerusalem, also nur eine gute Tagesreise von meinem Jericho entfernt, dass es dort Ärger geben würde. Der große Knall? Nun ja, vielleicht.
Wer ist dieser Jesus? Stimmt es, dass er der Messias ist, wie so viele sagen? Aber wenn er es ist, wie kann er dann ein Freund von Huren und Zöllnern sein? Also doch alles nur Gerede und Gerüchte?

Wie ich schon sagte, Jesus interessierte mich. Schon in den Geschichten, die man von ihm erzählte, rührte mich etwas an.
Ich meine nicht die Wunder, die Heilungen von Blinden und Lahmen - nein, da war mehr. Da hörte ich eine Hoffnung heraus, dass das Leben mehr ist als nur das, was ich kannte. Eine Tiefe, die all die entsetzlich leeren Tage und Nächte würde füllen können.
Versteht mich nicht falsch, mein Haus ist nicht leer. Ich kenne viele Leute - und viele wollen mich kennen. Freunde? Nun ja, Freunde meines Geldbeutels.

Und dann eben hörte ich, er, Jesus, würde durch mein Jericho kommen - was für eine Chance, diesen Menschen zu sehen. Seine Gestalt, seine Gesten -
seine Augen ... die Augen verraten ja so viel über einen Menschen.
Natürlich war mir klar, dass ich nicht in seine Nähe kommen würde. Diese vielen Menschen - und dieser Hass und diese Verachtung, die sie mir gegenüber zeigten.

Aber das wollte ich ja auch gar nicht; ich wollte Jesus ja gar nicht direkt treffen; deshalb auch der Baum - ich wollte ihn sehen - nur sehen. Mehr nicht.

Nein. So ganz stimmt das nicht.
Ich hatte auch Angst. Ja, Angst, dass auch dieser Jesus mich verurteilen würde, mich zurückstoßen. Dass auch er mich mit derselben Verachtung anschauen würde wie alle anderen.

Und dann? Dann kam es ganz anders. Als er vorbeiging, sah er mich an. Er sah mich an, als würde er mich schon mein ganzes Leben lang kennen.
Dann – kein Vorwurf, keine Anklage, nur ein einfaches: "Heute muss ich bei dir zu Gast sein." Ach, was für ein "Heute"!

Ich erkenne es jetzt ganz klar:
Ja, mein Leben war erbärmlich – bei all meinem Reichtum.
Armselig – bei all meiner Macht.
Ich war verloren, ein Verlorener unter den Söhnen Abrahams - und wurde gefunden. Denn ich wurde von ihm angeschaut, bin eingeladen worden von ihm.

Wie soll ich sagen, ja, ich bin einer, den Gott angeschaut hat.(*)

(*) Dieser letzte Satz, den ich dem Zachäus in den Mund lege, ist so ähnlich von unserem Papst Franziskus in einem bemerkenswerten Interview geäußert worden. Hier kann das ganze Interview nachgelesen werden.

© Martin Kornelius