Wir können es ja so gut nachvollziehen, den Ärger des Älteren.
Da rackert er sich redlich ab, hält Haus und Hof zusammen - und dann kommt sein jüngerer Bruder, der Verschwender. Hat sich ausbezahlen lassen und den großen Mann gespielt. Das Geld zum Fenster hinausgeworfen. Und als er dann mit leeren Taschen ganz unten angekommen ist und endlich einsieht, wohin ihn das gebracht hat, kehrt er nach Hause zurück - zerknirscht und reumütig.
Und wo ist der Ältere? Auf dem Heimweg vom Feld, auf dem Heimweg von der Arbeit - natürlich...
Tatsächlich meint Jesus mit seinem Gleichnis die Schriftgelehrten und Pharisäer.
Die Schriftgelehrten und Pharisäer, das sind die älteren Söhne; pflichtbewusst und strebsam. Es ist auch wirklich so, die Schriftgelehrten und Pharisäer mühen sich um ein gottesfürchtiges Leben; denn die vielen Gebote sollen genau das ermöglichen, keine Fehler zu machen. Je mehr Gebote, um so besser. Denn Gebote sind wie Leitplanken in einer unübersichtlichen Welt, ein möglichst enges Gatter, damit ja nicht der richtige Weg verlassen werden kann.
Damit gehen die Pharisäer dann sogar zu den einfachen Leuten und lehren diese. Ja, sie setzen sich auch für ihre Landsleute ein. Da sind die einen Pharisäer dann strenger, die anderen weniger streng.
Aber dann sind da eben auch noch die Zöllner, die mit der römischen Besatzungsmacht zusammenarbeiten, ihr Geld eintreiben. Oder die Tagelöhner, die sich noch Mittags herumtreiben, wenn sie keine Arbeit finden. Nichtsnutze, die in den Tag hinein leben. Oder überhaupt diese Sünder - eben wie der jüngere der beiden Söhne.
Das werfen die Schriftgelehrten und Pharisäer Jesus vor, dass er viel zu engen Kontakt mit diesen Leuten hat. Ja, dass er sich mit den Sündern gemein macht. Wie kann er gerecht und gut sein, wenn er sich mit Gesindel und Sündern einlässt? Was sollen die Menschen denken, die sich wirklich um ein gottgefälliges Leben bemühen?
Säufer und Fresser, so nennen sie ihn an anderer Stelle. Da schwingt viel von dieser Empörung mit.
Darauf antwortet Jesus mit diesem und auch mit anderen Gleichnissen. Es geht in unserem Gleichnis vom verlorenen Sohn (wie es genannt wird) also gar nicht sie sehr um den jüngeren Sohn.
Nein, der „verlorene Sohn“, das ist zuallererst der ältere Sohn, der nicht aus seinem engen Herz hinausfindet. Was ist es, das ihn so sehr in sich selbst einschließt? Das ihn hindert, sich auf den Schmerz und die Reue des Bruders einzulassen? Und auf die Freude des Vaters? Was hält ihn zurück? Vor was hat er Angst?
Der Vater, er eilt auch dem älteren Bruder entgegen; ihm, der draußen stehen bleibt. Voller Liebe spricht ihn der Vater mit "Mein Kind" an. Ihm gilt ja die Zusage des Vaters: du bist doch alle Zeit bei mir. Doch der Ältere findet nicht aus sich heraus. Sein Herz bleibt eng und verhärtet.
Von seiner Umkehr berichtet das Gleichnis nicht.
Wie sehr spiegelt sich doch unsere heutige Zeit in diesem Gleichnis.
Der jüngere Sohn, der sich verliert in oberflächlichen Vergnügungen. Immer nur den Blick auf die eigenen Interessen, immer nur das Eigene im Blick. Was bringt es mir? Was habe ich davon? Was nützt es mir?
Kein Wunder, dass eine „Hungersnot“ aufbricht, der Hunger nach Sinn, nach wirklichem Leben. Ist das denn alles, was in Zeitschriften und Fernsehen als „Leben“ angeboten wird? Das soll das Leben ausmachen? Mehr ist da wirklich nicht?
Und die andere Seite der Medaille ist die seelische Kälte und Engherzigkeit unserer Zeit. Unbarmherzigkeit gegen alle, die den Trott nicht mitmachen wollen oder nicht mitmachen können. Verlierer. Abgehängte. Ausgeschlossene.
Das eine ist der Spiegel des anderen, wie ein Bruder zum anderen.
Unser Papst Franziskus spricht sogar von einer „Globalisierung der Gleichgültigkeit“, eine „Gleichgültigkeit gegenüber dem Nächsten und gegenüber Gott“.
Ja genau, das ist die Versuchung des älteren Sohnes, dass er sein Herz verhärtet, das offene Herz für die anderen verliert; das offene Herz, aus dem Glaube und Mitmenschlichkeit leben.
Und welches ist meine Versuchung?
Verschleudere ich, was mir mitgegeben ist – aus Oberflächlichkeit oder Bequemlichkeit? Schaue nur auf das, was mir nützt?
Oder bin ich mitleidlos, engherzig gegenüber den Anderen? Gegenüber dem, der mir der „jüngere Bruder“ ist? Urteile, ja verurteile ich vorschnell?
Im heutigen Gottesdienst, ja überhaupt in dieser österlichen Bußzeit sind wir eingeladen, das, was eng und verhärtet in uns ist, aufzubrechen, neu aufzubrechen.
Mit den Worten des Papstes dürfen wir beten:
„Herr, ich habe mich täuschen lassen, auf tausenderlei Weise bin ich vor deiner Liebe geflohen, doch hier bin ich wieder, um meinen Bund mit dir zu erneuern. Ich brauche dich. Kaufe mich wieder frei, nimm mich noch einmal auf in deine erlösenden Arme.“