Lesungstext Auslegung zu Lk 10,21-24
(Wortgottesdienst an Pfingstmontag 2012)

Das ist ja schon ein starkes Stück, oder nicht?
"Ich preise dich, Vater..., weil du all das den Weisen und Klugen verborgen, den Unmündigen aber offenbart hast."
Sollen wir also dumm sein, damit dies alles auch uns offenbart wird? Oder „unmündig“, wie es hier heißt?
Schauen wir zunächst, wen Jesus hier wohl gemeint hat – damals.
Klar, es sind die Schriftgelehrten, die Schriftkundigen seiner Zeit.
Wir sind ja gewohnt, diese Lehrer der Schrift in schlechtem Licht zu sehen. Aber waren sie das?
Das Überraschende: Nein, das waren sie sicher nicht. Diese Pharisäer, also die Schriftgelehrten waren Menschen, die ernsthaft versuchten, die Bibel im Alltag zu leben. Gott also ernst zu nehmen; wie wir heute sagen würden: den Alltag zu heiligen. Diese Schriftgelehrten versuchten, gemäß der Bibel zu leben, schlossen sich deshalb auch in Gemeinschaften zusammen und machten ernst mit Gottes Geboten. Vom Volk wurden sie geschätzt, gerade, weil sie so ernsthaft mit ihrem Glauben umgingen und dabei ihr eigenes Volk, ihre Herkunft nicht aus den Augen verloren.

Was ist dann aber schief gegangen? Warum dieses harte Wort Jesu gegen die Schriftgelehrten?
Ich möchte das an den Emmaus-Jüngern verdeutlichen.
Sie kennen ja die Begebenheit. Da sind zwei der Jünger Jesu auf dem Weg nach Hause, weg von Jerusalem. Sie sind enttäuscht, weil Jesus am Kreuz gestorben ist - von wegen Befreiung, von wegen Messias. Unterwegs treffen sie jemanden, der sich in der Schrift auskennt und ihnen zeigt, dass alles genau so kommen musste. Und die Jünger damit trösten kann. Ihnen neuen Mut macht.
Wir wissen, dass es Jesus war, der da mit ihnen ging. Aber die Jünger? Sie erkennen ihn nicht. D. H. erst Abends erkennen sie ihn. Als er das Brot mit ihnen bricht. Sie erkennen, dass ihr Herz brannte - mittags schon, ohne dass sie da schon darauf geachtet hätten.
Das ist es. Die Schriftgelehrten - so klug und gescheit sie auch sind - spüren nicht, dass ihr Herz brennt, als sie Jesus begegnen. Sie lassen es nicht zu. Sie hören nicht auf ihr Herz. Und was hindert sie daran?
Nun, vielleicht genau das: dass sie meinen, genau Bescheid zu wissen. Ihnen kann niemand ein X für ein U vormachen. Sie kennen doch die Schrift, wissen damit doch ganz genau, was Gott von den Menschen will. Sie wissen doch ganz genau, was Gott von ihnen will.

Das Wichtigste fehlt Ihnen damit: Sie hätten auf ihr Herz hören müssen.
Sich ins Staunen versetzen lassen, dass der, von dem ihre Bibel, die Schrift, spricht, leibhaftig vor ihnen steht und mit ihnen redet.
Blaise Pascal, der französische Mathematiker und christliche Philosoph, meinte einmal, als er gefragt wurde, was Glaube sei:
Glaube ist das: Gott gibt sich dem Herzen zu spüren und nicht der Vernunft.
Ja, Gott will nicht, dass wir dumm werden, uns dumm stellen, unmündig sind. Nein, wir sollen einfach unser Herz öffnen. So wie Kinder ihr Herz dem Staunen öffnen. Oder wie Liebende einander ihr Herz öffnen. Denn unserem Herzen gibt sich Gott zu spüren und zu erkennen.

Nehmen wir noch den nächsten Satz aus dem Evangelium hinzu, das ist ja das, was wir in unser Herz aufnehmen sollen.
Niemand weiß, wer der Sohn ist, nur der Vater, und niemand weiß, wer der Vater ist, nur der Sohn und der, dem es der Sohn offenbaren will.
Uns Heutigen fällt es ja viel leichter, diesen Satz anzunehmen als den Menschen damals, gerade den Schriftgelehrten. Damals ist er noch unerhört neu.
Wir sprechen schon mit den ersten Sätzen unseres Glaubens vom Vater und vom Sohn: Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes – so schließen wir jedes Gebet, von Kind auf.
Aber: Ist das in unseren Herzen angekommen?
Ja, sonst wären wir ja nicht hier. Deshalb feiern wir ja Gottesdienst miteinander. Weil der Vater uns im Sohn nahe kommt, gerade hier, wenn wir Gottesdienst feiern.

Weil der Sohn sich unseren Herzen zu erkennen gibt, in diesem Gottesdienst.
Ja. Wir begegnen Jesus Christus in diesem Gottesdienst und damit Gott selbst: in seinem Wort, das wir hören, und im Brot des Lebens, das wir nachher miteinander teilen.
Gott kommt uns in Jesus Christus so nahe, dass es uns staunen lässt. Dass unser Herz immer wieder neu zu brennen beginnt.

Und noch ein Letztes: Wer ist denn dieser Gott, der uns da im Sohn als Vater entgegenkommt?
Ein lateinamerikanischer Dichter hat es einmal so gesagt:
Gott liebt dich so, als ob es im ganzen Kosmos nur zwei Wesen gäbe: Gott und dich.
Was für ein Gott, den der Dichter damit beschreibt!
Als ob Er dieses riesige Universum mit den unzähligen Galaxien und Sternen einzig und allein zu dem einen Zweck geschaffen hätte, dass Er mir begegnen kann.
Als ob dieses unzählige Werden und Vergehen einzig allein dazu führen sollte, dass schließlich ich entstehe und Gott mich lieben kann. Ein Gott, der all die Jahrmilliarden sehnsüchtig darauf wartet, dass ich endlich geboren werde - um mich lieben zu können.
Wie es im Hymnus heißt, den wir vorhin gehört haben:
Denn in ihm, Jesus Christus, hat er uns erwählt schon vor der Erschaffung der Welt.

Diesen Gott feiern wir in unserem Gottesdienst. Diesem Gott begegnen wir, als Vater in dem einen Sohn. Amen.

© Martin Kornelius