Lesungstext Auslegung zu Joh 13,31-33a.34-35
(Wortgottesdienst in der Osterzeit 2016)

Gottes Herrlichkeit.
Wer von uns stand nicht schon auf einem Berg und hat die herrliche Landschaft bewundert, die sich um ihn herum ausbreitete. Oder - natürlich – der wunderbare Anblick des Sternenhimmels in einer wirklich dunklen, mondlosen Nacht. In vielen Psalmen finden wir dieses Lob der Schöpfung. So heißt es im Psalm 19:
Die Himmel rühmen die Herrlichkeit Gottes /
vom Werk seiner Hände kündet das Firmament.
(Ps 19,2)

Ja, es ist die Herrlichkeit Gottes, die sich – so glauben wir – in der Herrlichkeit seiner Schöpfung widerspiegelt. Seine Majestät. Seine Größe und Macht. So rufen denn auch in der Vision des Jesaia zwei mächtige Engelwesen, zwei Serafim einander zu – und Sie kennen das:
Heilig, heilig, heilig ist der Herr der Heere. /
Von seiner Herrlichkeit ist die ganze Erde erfüllt.
(Jes. 6,1-3)

Aber was hat ein Kreuz, erfunden zu quälen und zu töten, mit „Herrlichkeit“ zu tun?
Was hat dieses Kreuz mit dem geschundenen Körper Jesu mit „Herrlichkeit“ zu tun?
Und es geht nicht um die Auferstehung, diesen machtvollen, ja herrlichen Sieg Gottes über den Tod. Es heißt im heutigen Evangelium:
Als Judas hinausgegangen war, sagte Jesus: Jetzt ist der Menschensohn verherrlicht und Gott ist in ihm verherrlicht.
Jetzt, jetzt mit dem Verrat durch Judas und dann mit dem Leid, dem Kreuz wird die Herrlichkeit Gottes offenbar. In der dunklen Nacht des Leidens und des Todes, da leuchtet die Herrlichkeit Gottes auf – und zeigt, wer denn dieser Gott ist, an den wir glauben.

Denn um diese Frage geht es: wer ist Gott.
Also, wer ist dieser Gott, der seine Herrlichkeit am Kreuz erweist?

Letzten Sonntag haben wir als Evangelium von einem Gleichnis Jesu gehört, das viel über unseren Gott aussagt. Es ist das Gleichnis vom Schafhirten, der seine Schafe kennt – und die Schafe ihn. Dieses Gleichnis ist wie eine „Übersetzungshilfe“ für das Evangelium, das wir heute gehört haben.
Wird dieser Schafhirte nicht auch in die Dornen hineingehen, wenn sich eines seiner Schafe dorthinein verstrickt hat? Wird er sich nicht in die dunkle Höhle hinein wagen, wenn er eines seiner Schafe daraus rufen hört?
Ja mehr noch, Jesus sagt in diesem Evangelium: Ich gebe mein Leben hin für die Schafe.

Ja, das ist unser Gott.
Ein Gott, der sich - Mensch geworden - in die Hilflosigkeit verstricken lässt, in den Verrat und die Quälerei durch Menschen. Ein Gott, der sich in die Dunkelheit des Todes wagt, in die Gottverlassenheit. Lieber lässt Er sich - Mensch geworden – in das Dunkel des Todes stürzen, als dass einer von uns darin verloren geht.

Das ist unser Gott, der seine Herrlichkeit am Kreuz erweist.
Ein Gott der unbedingten Menschenfreundlichkeit, der unbedingten Liebe und Hingabe.

Können wir diesen Gott dann nicht auch in der Schöpfung entdecken?
Ja, bei allem, was wir nicht verstehen, bei allen Dunkelheiten und bei allem Leiden, das uns ja in der Schöpfung begegnet - und wie oft es himmelschreiendes Leiden - begegnen wir auch dort der Hingabe und der Liebe unseres Gottes.

Der lateinamerikanische Mystiker und Befreiungstheologe Ernesto Cardenal schreibt:
Die ganze Schöpfung schreit uns durchdringend an, mit einem großen Schrei, von … der Schönheit und der Liebe Gottes. ...
In der ganzen Natur finden wir die Initialen Gottes, und alle erschaffenen Wesen sind Liebesbriefe Gottes an uns.
(Ernesto Cardenal: Das Buch von der Liebe)

Das heutige Evangelium schließt mit dem Liebesgebot.
Ein neues Gebot gebe ich euch ... heißt es dort.
Neu daran ist nicht, dass wir einander lieben sollen. Das Liebesgebot kennen wir ja schon in unterschiedlichen Fassungen aus der Alten Testament, der hebräischen Bibel. Aber neu daran ist die Grundlage dieser Liebe in Jesus Christus.
Wie ich euch geliebt habe, so könnt, so dürft, so sollt auch ihr einander lieben.

Als von Gott Getröstete trösten wir einander
Als von Gott Getragene tragen wir einander
Als von Gott Gerettete retten wir einander
Als von Gott Geliebte lieben wir einander

Denn daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid, – so heißt es – wenn ihr einander liebt.

So wird auch in uns schon jetzt die Herrlichkeit Gottes sichtbar, eine Herrlichkeit, die am Ende aller Zeiten die ganze Welt durchstrahlen wird, als Hingabe und Liebe, wenn Gott alles in allem sein wird.

Nun bleibt uns aber:
Liebt einander, ja, sorgt umeinander, schaut aufeinander. Mit kleinen und mit großen Gesten. Einem tröstendem Wort, einer hilfreichen Hand, einem Schulterklopfen.
Werdet einander Mensch - so wie der Eine Mensch wurde - Mensch für uns und Mensch mit uns.
Werdet einander Liebesbriefe Gottes.

© Martin Kornelius