Lesungstext Auslegung zu Joh 11,1-45
(Wortgottesdienst mit Bußfeier in der Fastenzeit 2014)

Zweimal hören wir im heutigen Evangelium diesen Satz: "Herr, wärst du hier gewesen, dann wäre mein Bruder nicht gestorben." Einmal spricht Marta diesen Satz aus, das andere Mal Maria. Ein großes Vertrauen steckt in diesem Satz. Ein Vertrauen, das wir oft von den Menschen hören, die Jesus begegnen.

Marta und Maria. Sie kennen vermutlich diese beiden. Auch Lukas erzählt in seinem Evangelium von ihnen. Jesus und die Jünger kommen in ein Dorf – so Lukas -, wo sie Marta in ihr Haus aufnimmt. Und während Marta ganz rührig Jesus und die Seinen umsorgt, setzt sich Maria zu Füßen Jesu und hört ihm zu. Wählt das Bessere, wie es bei Lukas heißt.

Auch im heutigen Evangelium ist Marta die Aktive, sie eilt Jesus entgegen. Und spricht dann diesen Satz: "Herr, wärst du hier gewesen, dann wäre mein Bruder nicht gestorben." Wenn du da gewesen wärst - du hättest ihn geheilt, geheilt von seiner Krankheit zum Tode, du hättest das Leben siegen lassen.

Ja, Jesus hätte Lazarus helfen können, so wie er schon vielen geholfen hat. Die mitten im Leben vom Tod ergriffen werden, die Kranken, die Aussätzigen, die Ausgestoßenen – aber bei Lazarus hat nun der Tod gesiegt. Nun bleibt nur noch die Hoffnung, dass Lazarus am Letzten Tag auferstehen werde.

Und wie antwortet Jesus darauf? "Ich bin die Auferstehung und das Leben."

Jesus gibt also nicht nur Leben, wo es „gemindert“ wird, wo es eingeengt wird, wo das Leben geheilt werden muss, wo es wieder heil werden soll. Nein, er selbst ist das Leben. Es gibt kein Heil, keine Heilung, es gibt kein Leben an Jesus vorbei. Nur im Glauben an ihn, der selbst Auferstehung und Leben ist, kommt der Mensch zum Leben.

Glaubst du das?
„Glaubst du das?“, fragt Jesus Marta. Und Marta sagt „ja“.
Aber am Grab zögert sie dann doch: „Herr, er riecht aber schon, denn es ist bereits der vierte Tag.“ Ein guter, ein naheliegender Einwand, wenn wir an das Klima, an die Hitze dort denken.
Und Jesus erinnert sie daran: „Habe ich dir nicht gesagt: Wenn du glaubst, wirst du die Herrlichkeit Gottes sehen?“
Jetzt bleibt wirklich nur noch das eine: „Lazarus, komm heraus!“ Und Lazarus kommt heraus, zurück ins Leben.

Wir wissen, wie es weitergeht: Einige von denen, die dabei waren, werden den Hohepriestern in Jerusalem berichten. Die nun den Entschluss fassen, Jesus zu töten. Denn, so der Hohepriester Kajaphas, es ist "besser ..., wenn ein einziger Mensch für das Volk stirbt, als wenn das ganze Volk zugrunde geht." Wie recht er hat, weiß er gar nicht: tatsächlich, einer wird sterben, damit das Volk, damit wir alle leben und nicht zugrunde gehen.
Der, der das Leben und die Auferstehung ist, wird sterben, damit wir - selbst im Tod - das Leben finden.

Das ist die Herrlichkeit Gottes, die in der Auferweckung des Lazarus sichtbar wird. Nicht, dass Lazarus von Jesus in sein früheres Leben zurückgerufen wird. Das ist nur das Zeichen dafür. Lazarus wird ja wieder sterben. Sondern, dass der Tod keine Macht mehr hat, keine Finsternis der Gottferne mehr ist. Dass wer an Jesus glaubt, leben wird, auch wenn er stirbt.

Und wir? Was kann uns Lazarus sagen? Hier und jetzt?

Wie Marta glauben auch wir, dass wir auferstehen werden am Ende der Zeiten. So wie es Marta für ihren Bruder bekennt:
„Ich weiß, dass er auferstehen wird bei der Auferstehung am Letzten Tag.“
Oder wenn wir im Glaubensbekenntnis bekennen:
„Ich glaube … an die Auferstehung der Toten und das ewige Leben.“
Ja, mit Marta glauben wir, dass wir nicht dem Tod anheim fallen werden, nicht dem Vergessen. Sondern leben werden.

Wie bei Marta und Maria wäre das aber zu wenig.
Jesus ist die Auferstehung und das Leben. Auferstehung will das Leben verwandeln, mein Leben, unser Leben, auch in diesem Augenblick, hier und jetzt.
Jetzt ruft er uns wie Lazarus zu, ruft er mir zu: Komm heraus.

Denn wie schnell vergraben wir uns hinter Mauern aus Niedergeschlagenheit, in einem Grab aus Mutlosigkeit.
Natürlich bricht der Tod auch in unser Leben ein, sind wir – wie es in dem alten Kirchenlied heißt – mitten im Leben vom Tod umfangen. Krankheit und Leid, Erfolglosigkeit, „Nicht mehr können“, Abschiede … all das zehrt an uns, will Seele und Herz zerbrechen.
Doch da ruft Gott, ruft Jesus in diese „Todesverfangenheit“ hinein: „Komm heraus. Komm heraus aus allem, was dein Leben mindert. Komm heraus aus allem, was dich einschränkt. Ich will, dass du lebst. Für dich und für andere.“

Wir gehen auf Ostern zu. Ja, etwas Unerhörtes ist an Ostern geschehen.
Unser Gott, von dem wir bekennen, dass er diese Welt erschaffen hat, diese ungeheure Welt mit ihren Abermilliarden an Sternen, mit ihren Abgründen aus Raum und Zeit, die uns schaudern lassen können.
Dieser Gott hat sich vor ein menschliches Gericht zerren lassen, hat sich quälen und schlagen lassen.
Gott hat sich in Jesus brechen und zerbrechen lassen, hat sich fallen lassen in die Finsternis des Todes, in die Dunkelheit der Gottferne und der Einsamkeit.
Warum?
Um dort zu sein, wo wir gebrochen sind, wo wir zerbrochen sind. Wo es finster ist in uns.
Um uns dort berühren zu können, wo wir verwundet sind, manchmal verwundet zum Tod.

Gott ruft nicht aus der Ferne, sondern: in Jesus steht er neben mir. In Jesus begleitet er mich - in das Grab, in den Tod; auch in den Tod, den ich erfahre mitten in meinem Leben. Denn seine Auferstehung will mein Leben verwandeln.

„Fürchte dich nicht, ich bin bei dir.
Fürchte dich nicht und komm mit hinaus.
Ich will dich, ich will dein Leben verwandeln. Um durch dich und mit dir die Welt zu verwandeln.
Glaubst du das?“

© Martin Kornelius